Die wundersame Wandlung eines Kätzchens…
Damals, bis Ende Mai 2005, hatte ich ein Konstruktionsbüro in der Berliner Oranienstraße 4 und ich hatte Gründe, dort auch die Nächte zu verbringen.
Die Räume lagen im Hochparterre an einem Hof; dass sich auf ihm nachts Katzen heftige Kämpfe lieferten war nicht zu überhören.
Der Winter 2004 / 05 war hart, mit Frost bis zu minus 17 Grad. Tiere hatten Mühe, genügend Nahrung zu finden, darum entschied ich im November 2004, abends einen Napf mit Trockenfutter auf die Zugangstreppe zu stellen. Am nächsten Morgen waren stets nur noch einige Krümel im Napf.
So ging es weiter, Nacht um Nacht, bis… ja, bis…!
Die Hofbeleuchtung steuerte ein Bewegungssensor. Irgendwann fiel mir auf, dass gegen Drei Uhr das Licht anging, obwohl kein Mensch da war und die Kämpfer sich in andere Gefilde verzogen hatten.
Zeitgleich stellte ich fest, dass der Napf am Morgen blitzblank ausgeleckt war. Zweifellos lebte da draußen ein weiteres ‚Wursthäkchen‘.
Mir, so zu sagen als Nachteule, fiel es leicht, jene Abläufe zu bemerken und Futter nachzufüllen, sobald die mir bekannten Pelzkragen fort waren. Und ja, meist auf die Minute genau um drei Uhr, befahl der Sensor: Spot an…!
Wiederum enthielt der Napf morgens nur noch krümelige Reste. Wer den Nachschlag holte, konnte ich visuell nicht ergründen.
Einmal kam ich um 02 Uhr 45 zum Büro. Da saß bei den Müllcontainern ein zierliches Etwas. Licht reflektierende Augen sahen her. Nun war es eindeutig: da draußen lebt eine weitere Katze.
Die Bürotür war ein gusseisernes, verziertes Kunstwerk. Dann und wann öffnete ich sie zum Lüften lediglich so weit, dass meine vierbeinige Partnerin Schneewittchen nicht hinaus konnte. Ein Drahthaken diente als Feststeller für die Tür.
Ende Januar 2005, nachts, 2 Uhr 45… Leise klapperte der Draht, dann lauter, energischer. Da war jemand oder etwas!
Eilig Schneewittchen in den Nebenraum. Die Trenntür schließen ein Muss! Witti war milieugeschädigt und mutierte zur unkontrollierbaren Furie, sobald sie anderer Katzen ansichtig wurde.
Behutsam öffnete ich die Tür, lugte hinaus und… sah die Fremde auf dem Podest hocken, ein leises „Miep“ ausstoßend. Der Anblick war herzzerreißend, die Kälte gnadenlos.
Ruhig löste ich den Haken und zog vorsichtig die Tür auf. Näher kam das Tierchen nicht, aber es ließ sich ohne Panik ablichten und wiederholte wimmernd: „Miep.“
Arg zerzaust war das Kätzchen, weiße Fellteile vom Schmutz grau, über dem rechten Auge prangte eine böse Verletzung. Es war unübersehbar: Hier musste dringend geholfen werden.
Nur: Was konnte ich so eilig tun?
Hereinlocken? Schneewittchen hätte die Konkurrentin buchstäblich zerfleischt. Die Katzen strikt zu trennen gaben die Räumlichkeiten nicht her. Außerdem sind frei lebende Katzen meist Parasitenträger.
Wer Tierschutz-Erfahrungen hat, weiß, dass Hauruck-Handeln oft schlichtweg unmöglich ist. Eine Notlösung musste dennoch her!
Das WC-Fenster befand sich etwas oberhalb des Podestes vor dem Büroeingang. Ich öffnete einen Fensterflügel Katzenweit, fixierte den Flügel mit einem Draht und legte eine Futterspur zu einem Napf, den ich innen auf dem Fensterbrett platzierte.
Mittlerweile fror ich von eindringender Kälte. Deshalb, mehr aber um das Licht nach außen zu mindern, lehnte ich die Eingangstür wieder an. Das Hoflicht war schon aus.
Gespannt wartete ich am geschlossenen WC. War der Hunger mächtig genug, dass sich die Katze hineinwagen würde? Bald vernahm ich das Knastern Trockenfutter kauender Zähne.
Ab da verlief die nächtliche Fütterung anders als die erste Kontaktaufnahme. Ich wagte es, reglos im WC zu verharren.
Die neue Freundin gewöhnte sich schnell daran. Sie tolerierte, dass ich dem Fressplatz nahe kam, um einen zweiten Napf mit Nassfutter zu füllen. Lauwarmes Wasser lernte sie überaus zu schätzen.
Überhaupt konnte ich mich bald normal in dem Raum bewegen. Aber jedes Knacken und Knistern im Hof erzeugte in dem kleinen Leib nervöses Sicherungsgebaren. Berühren ließ sie sich nicht, die Katze wich den Versuchen weit genug aus, sichere Distanz zur tastenden Hand herzustellen.
Schwänzchen in die Höh? Mitnichten! So schloss ich einzig aus geringer Größe und Verhalten, dass es ein Mädchen war.
Ich nannte sie Petra!
Es tat mir Leid, zu sehen, dass die Wunde über dem Auge heute zu heilen schien, morgen jedoch wieder blutete, wohl von der Kälte und den Mühen sie sauber zu halten.
Intensiver Hilfe zu leisten war unumgänglich!
Hatte Petra nicht darum gebeten, indem sie die schwere Tür zu öffnen versuchte? Hatte sie gespürt, dass dies womöglich der letzte Ausweg war, dem Tod zu entrinnen?
Ich beschloss, Petra zu fangen.
Meine damalige Gattin war über all diese Geschehnisse informiert. Sie kontaktierte bereits Vereine, die in Frage kamen, Petra aufzunehmen. Nur war das im Winter leichter gesagt, als getan.
Bedauerlich, dass Weihnachten (wie immer vor großen Festen) viele Tiere ausgesetzt werden. Alle potentiellen Quartiere waren deshalb mehr als ausgelastet.
Aber Fangen, tierärztliche Versorgung und Unterbringung mussten koordiniert ablaufen.
Ein Verein bot an, sämtliche Kosten zu übernehmen, einschließlich der vermutlich nötigen Kastration. Die Bedingungen lauteten, dass wir:
Petra fangen sollten, um sie vom Vertragstierarzt des Vereins behandeln zu lassen, dass wir die Transporte übernahmen und dass wir Petra vorläufig woanders als im Vereinsquartier unterbringen müssten.
Wir sagten zu, diese Lösung war immerhin die zweitbeste.
Eine Katzenfalle hatte ich im Büro. Der erste Fangversuch erwies sich als Erfolg und zugleich als Fehlschlag! Henriette, Halsband tragende Freigängerin, hatte lockender Duft dazu verleitet, das Schabefleisch als Beute zu erobern.
Just sehe ich geistigen Auges Henriette in der Falle. Da gab es keine Angst, keine Panik, keine Aufregung – wie herrlich verwundert Kätzchenmimik doch sein kann! Ich zog den Schieber hoch, Henriette spazierte ruhigen Schrittes aus der Falle. Dann wandte sie sich um, als würde sie kopfschüttelnd fragen: „Was sollte das denn, du Blödmann?“
Drei Uhr Zehn, der Schieber fiel erneut zu. Petra war im Kasten und tobte wie verrückt. Leider musste sie den Rest der Nacht in der Falle verbringen, die ich rasch mit einem Tuch abdeckte. Wie erwartet, hatte das beruhigende Wirkung. Wenigstens brauchte Petra bei geschlossenem Fenster nicht mehr zu frieren und die Kälte nicht länger an der Wunde ertragen.
Am Vormittag des 6. März 2005 brachten wir Petra zum Tierarzt. Wieder gebärdete sie sich wild, bis das Anästhesiemittel wirkte.
Die wundersame Wandlung des Kätzchens begann mit der Erkenntnis: Nicht Petra hatte ich in die Falle gelockt – nein, es war Peter! Erst in Narkose konnte das Geschlecht festgestellt werden. War es Intuition, die mir einen Namen eingegeben hatte, der diese Wandlung erleichterte?
Selten hätte sie ein derart Flohbefallenes Tier erlebt, sagte die Tierärztin. Die Bedenken bezüglich Parasiten hatten sich also als richtig erwiesen.
Die Verletzung war eine schwere Verbrennung, dem Kätzchen vermutlich mit einer Zigarette zugefügt.
Wir konnten nicht warten, bis Peter behandelt war und die Narkose überstanden hatte. Aber ihm wurden die üblichen Kuren und sonstige Grundbehandlungen zugebilligt und er wurde kastriert.
Gegen Mittag erfuhr meine Frau, Peter wäre behandelt und er würde allmählich wach werden. Unfassbar die ergänzende Nachricht, die ich nicht wörtlich, aber Inhaltlich richtig wiedergebe:
„Das Tier ist zu wild, sie können es nicht in einer Wohnung halten. Wir werden die Katze an einem Futterplatz aussetzen.“
Peter war frisch kastriert, das allein ist eine erhebliche Belastung. Die Verbrennung war zwar versorgt, aber das Ausheilen würde noch seine Zeit brauchen! Durfte einem Tier angetan werden, es in diesem Zustand wieder in die eisige, unfreundliche Umwelt zu entlassen?
Auf gar keinen Fall!!!
Meine Frau reagierte prompt und richtig, indem sie ankündigte, dass ich Peter abholen würde. Dann tat sie mir die Zumutungen der Arztpraxis kund. Eine Stunde nach dem Telefonat mit der Praxis war Peter in unserer Wohnung.
Die ist so geschnitten, dass sie in zwei etwa gleichwertige Reviere geteilt werden kann. Während ich Peter holte, hatte meine Frau alles nötige vorbereitet. Das ließ sich nicht umgehen, denn unser Besitzer Namens Rüpel war ein Alphatier der Rasse: „Ihr dürft keine andere Katze haben neben mir.“
Rüpel hatte 9 schwere Jahre hinter sich, ehe wir ihn übernahmen. Mit https://youandroli.wordpress.com/adieu-rupel/ ist sein Lebenslauf aufrufbar, darum verzichte ich hier auf Details.
Kurzum: Als Peter wieder ‚bei sich‘ war und aus dem Transportbehälter durfte, erlebten wir Unglaubliches!
Er wütete wie ein Berserker. Alles Bewegliche fiel seinem wilden Tun zum Opfer, wurde von Haltern und Wänden gerissen. Er gelangte auf einen zwei Meter hohen Schrank. Dann sprang er gegen das Fenster um ins Freie zu kommen.
Beherzt griff meine Frau zu und beförderte den Wüterich wieder in den Transportbehälter.
Später wurde Peter erneut heraus gelassen. Oh, ja, er benahm sich ruhiger, geradezu ängstlich. Drei Wochen lang saß er hinter der Waschmaschine! Er kam nur heimlich hervor, um zu fressen und sein Klo zu benutzen.
Allmählich wurde er meiner Frau gegenüber zutraulicher. Aber wenn ich kam, flitzte Peter sofort in den Schutz der Waschmaschine, den Frauchen liebevoll ausgepolstert hatte.
War es Angst, wieder zu den Kampfhähnen in Kreuzberg gebracht zu werden? Mittlerweile hatte er sich nämlich mit den Vorzügen der Zivilisation angefreundet, während mir noch immer der Duft früherer Unbillen anhaftete.
Jeder Versuch, die beiden Pelze zusammen zu bringen, scheiterte. Rüpel hatte Heimrecht und war viel älter. Mit Pfoten und akustischen Zurechtweisungen jagte er Peter stets zurück in dessen Bereich.
Die Umstände berücksichtigend, konnten wir dennoch mit dem Ergebnis zufrieden sein.
Ende Mai ’05 musste ich das Büro räumen, weil der Vermieter es selber nutzen wollte. Ich zog wieder in unsere Wohnung. Das Notquartier war damit leider verloren und wir betreuten in der Wohnung zwei Problemfälle.
Zudem entwickelte Peter Mundgeruch. Natürlich brachten wir ihn in die uns von uns bevorzugte, vertraute Praxis. Diagnose: Peter leidet unter Plasmazellgingivitis, die, wenn überhaupt, schwer heilbar ist.
Spritzen halfen da nur bedingt, außerdem setzte sich der Patient stets vehement zur Wehr. Darum beschloss der Tierarzt eine drastischere Behandlung: er extrahierte die Zähne aus den entzündeten Bereichen.
Seit der weißschwarze Freund die Folgen dieser Eingriffe überstanden hat, kann mit Fug und Recht gesagt werden, dass Peters Beschwerden deutlich nachgelassen haben – dies ein weiterer Schritt der Wandlung.
Deren Vollendung ist nicht nur wundersam, sondern wunderbar!
Als er zwangsläufig ein neues Heim bezog, war Peter zehn Monate alt, und doch hatte er in der kurzen Lebenszeit viel Böses erfahren.
Einst war er scheu, ängstlich, oft wild, unser Peter. Durch viel Geduld und Liebe wurde aus ihm, dem einst frei lebenden Kater, ein liebes, kontaktfreudiges Katerle.
Wie oft begrüßt er Frauchen mit schier unendlichen Sätzen, wenn sie heimkehrt. Bei ihr wählt Peter öfter Schoßwärme.
Wie oft fordert er mich auf, ihn bei Pfote zum Futternapf zu begleiten und dort zu bleiben, bis die Mahlzeit beendet ist.
Haben wir nicht genau so die ersten Erfahrungen miteinander gewonnen? Eine Änderung hat sich insofern ergeben, dass erst gestreichelt und dann gefüttert wird.
Spielen und Knuddeln ist mehr meine Aufgabe. Bei „Plumpssack“ fällt Käzchen auf die Seite, streckt schnurrend alle Viere von sich und lässt sich den Bauch massieren.Logisch, seit ich in der Wohnung anwesend war, konnte ich mich mehr um Peter kümmern, ihm im Sinne des Wortes die Hand reichen. Oh, ja, wir fanden zueinander; trotz uns fehlendem Übergewicht verbindet uns eine dicke Freundschaft.
Es ist gut und richtig, dass der kleine ‚Pitti‘ seit nunmehr 7 Jahren hier ist!
Die Wandlung dieses Freundes wundersam und wunderbar zu bezeichnen ist führwahr korrekt. Bei den meisten Katzen ist die Schwanzspitze nahezu ständig in Alarmbereitschaft. Nicht bei Peter. Er ist selbst im Wachsein so entspannt, dass sie nicht zittert.
Das ist der wertvollste Vertrauensbeweis und dafür, lieber Peter, bin ich sehr dankbar!
Dein Roliman